"Lara Croft" – der Name der Protagonistin von Tomb Raider hat absoluten Kultstatus. Bei einem radikalen Neustart, auch Reboot genannt, stellt sich natürlich die Frage, ob der Nachhall dieses Namens das einzige ist, was von der Spieleserie übrig blieb. Mit sowohl den Fans als auch dem sich wandelnden Videospielmarkt im Hinterkopf setzte sich Crystal Dynamics das ehrgeizige Ziel, die Grabräuberin in unsere heutige Zeit zu retten. Ob der Rettungsversuch geglückt ist, erfahrt ihr in unserem Test.
Neustart, die zweite
Es mag nicht jedem völlig bewusst sein, da sich
»Tomb Raider: Legend immernoch stark an den Vorgängern orientierte, aber bereits dieser Titel bezeichnete einen Neustart der Serie. Laras Hintergrundgeschichte wurde angepasst, ihr Design dezent modernisiert und ihr Fähigkeiten-Repertoire erweitert. Crystal Dynamics, die ab besagtem Titel die Entwicklung von
Tomb Raider-Spielen übernahmen, war dieser Wechsel aber noch nicht radikal genug. Damit die Kult-Ikone ihren Status behält und auch in der immer komplexer und realistischer anmutenden Welt der Videospiele weiterhin Bestand hat, musste sie also neu erfunden werden.
Darum treffen wir sie nun im als
Tomb Raider nicht gerade einfallsreich betitelten neunten Ableger der Reihe als blutjunge Frischling auf ihrer ersten großen Reise. Im Drachen-Dreieck vor der Küste Japans vermutet sie das verlorene Königreich (was auch sonst?) der Sonnenkönigin Himiko. Begleitet wird sie von ihrem Ersatzvater Roth, Studienfreundin Sam, dem medien- und geldgeilen Archäologen Whitman sowie weiteren Mitgliedern des Expeditionsteams. Die Überfahrt im Frachtschiff entpuppt sich jedoch nicht gerade als Kaffeefahrt: Ein Sturm zerreißt das Seegefährt und lässt Besatzung sowie die Passagiere auf einer rauen Insel stranden. Deren Einwohner soll Lara bald kennenlernen.
Schlafende Hunde soll man nicht wecken...
... Und mit schlafenden Hunden meinen wir nicht etwa die Inselbewohner, sondern Laras innere Dämonen: Wer den Kopf vor dem Release von
Tomb Raider nicht gerade in den Sand gesteckt hatte weiß wahrscheinlich, dass der Hauptfokus des Spiels auf Laras Entwicklung zur toughen Einzelkämpferin und Killerin liegt. Nachdem sie der einen oder anderen aussichtslosen Situation entgangen ist, Mitglieder ihres Teams getroffen und wieder aus den Augen verloren hat und weiter in das Eiland vorgedrungen ist, muss sie feststellen, dass viele ehemals schiffbrüchige Männer sich hier niedergelassen haben und die Insel mit aller Waffengewalt verteidigen.
In dieser Situation ist die anstrebende Archäologin nun also zum ersten Mal dazu gezwungen, einen Menschen zu töten. Ein einschneidendes Erlebnis für sie. Was die gute Lara früher inflationär praktizierte, zährt doch stark am Gewissen ihrer jüngeren, realistischeren Version. Zumindest wurde dies so propagiert – wir nehmen es der herausragenden Neubesetzung Camilla Luddington und der überzeugend animierten Lara durchaus ab, dass sie dieses Ereignis verstört; nur wenn sie danach plötzlich ein Pack von Gegnern nach dem anderen mit ihrer Pistole niederstreckt, fühlen wir uns noch viel mehr wie eine eiskalte Killerin als in Ms. Crofts früheren Ausflügen. Klar, letztlich muss sie sich ihrer Haut erwehren im Kampf gegen Männer, die keine Fragen stellen bevor sie den Abzug betätigen, und darüber hinaus im Verlaufe eines einzigen Spiels zu der Heldin werden, die Videospielgeschichte schrieb. Denn man kann, auch wenn die Entwicklung zur Tötungsmaschine etwas seltsam anmutet, dem Spiel eines nicht vorwerfen: Dass es die Abenteurerin mit Samthandschuhen anfässt.
Das liegt alleine schon an der rauen Landschaft der Insel, die zwar alles andere als ein Urlaubsparadies ist, aber dafür auf der aktuellen Konsolengeneration grafisch detaillierter nicht sein könnte. Zwar ist das Terrain trotz des Open World Ansatzes ziemlich geradlinig in seinem Aufbau, doch durch welch detaillierte Höhlen, Militärbunker und leichengeplfasterte Tunnel Ms. Croft hier streift, toppt den grafisch hervorragenden Vorgänger noch um einige Klassen. Und die Umgebung spielt nicht nur für die superbe Atmosphäre des Spiels eine wichtige Rolle, da sie euch oftmals in ihre mordslustigen Finger bekommt in Form eines reißenden Flusses gespickt mit spitzen Baumstämmen (die gewaltsamen Todesarten rechtfertigen hier mitunter die 18er Freigabe...) oder auch als auf euch herabrieselnde Flugzeugteile, denen ihr aus der Frontalansicht an einem steilen Hang ausweichen müsst. Zwar sind solche Sequenzen wie der gesamte Spielablauf stark geskriptet, doch dies war die klare Intention der Entwickler: Mit
Tomb Raider die Feuertaufe von Lara Croft von Anfang bis zum einzig möglichen Ende zu erzählen, ohne alternativen Ausgang oder ausufernde Open World Spielereien.
In unserem Test fielen uns hierbei die größte Stärke des Spiels auf, die tolle Erzählweise, welche euch mitten ins Geschehen versetzt ohne Atempause, aber auch die Größte Schwäche: Die Linie zwischen Open World und geradliniger Erzählweise ist ziemlich wackelig. Wie wir das kennen – ob aus Games mit vordefinierten Leveln oder auch aus Sandkasten-Spielen – findet ihr auf der Insel jede Menge Aufzeichnungen, einsammelbares wie Vasen, Masken und sogar versteckte Höhlen alias Tombs die euch rätseln lassen, wie ihr den Schatz am Ende erreicht. Auf eurer Weltkarte dürft ihr sogar Ziele markieren – nur seht ihr dann im Spiel direkt nicht, wo sich eine solche Markierung befindet. Mag dies nur bedingt stören, ist jedoch der größte Haken, dass durch den "Zusammenhängende Welt"-Charakter eine Levelauswahl wie schon in
»Tomb Raider: Underworld komplett flachfällt. Habt ihr die Story also hinter euch gebracht, rennt ihr über eine (fast) verlassene Insel und könnt noch nicht entdeckte versteckte Höhlen finden oder auch Schätze und dergleichen. Doch eine New Game Plus Funktion oder eine Levelauswahl wären der somit stark krankenden Langzeitmotivation viel zuträglicher gewesen. Trotz Vegetariertums (und Abscheu, in
»Assassin's Creed III oder
»Red Dead Redemption Tiere zu töten und zu häuten) fand sogar unser Haupttester, dass die "Ich muss überleben und deshalb Tiere jagen"-Komponente vom Anfang des Spiels ausgebaut hätte werden können. Doch offenbar dient diese einmalige Gegebenheit nur als Aufhänger für den Erwerb des Bogens.
Unter Ulmen
Natürlich hat
Tomb Raider auch wieder eine deutsche Synchro. Langjährige MTV-Zuschauer staunen hier sicher nicht schlecht, denn wer hätte gedacht, dass Christian Ulmens alter Sidekick aus
Ulmens Auftrag einmal Lara Croft synchronisieren würde? Der heutigen Generation ist Nora Tschirner in erster Linie aus Kinofilmen wie
Keinohrhasen bekannt und einen dementsprechend guten Job liefert sie auch in diesem Spiel ab.
Generell lässt sich berichten, dass die deutsche Vertonung mit bekannten Sprechern auf sehr hohem Niveau ist; letztlich bleibt aber auch hier zu sagen: Wer gut englisch kann, sollte natürlich zum O-Ton greifen, denn zu Lara Croft gehört nunmal ein britischer Akzent. Ihr Landsmann und zugleich Schöpfer, Toby Gard, war übrigens ursprünglich laut Crystal Dynamics diesmal nicht mit an Bord, wird jedoch im Abspann als Regisseur der Zwischensequenzen aufgeführt.
Nathan Drake, Quick Time Events und Deathmatches!
Vergleicht man die Spielmechanik früherer
Tomb Raider Games mit dem neuesten Ableger, fällt eine gewisse Ähnlichkeit mit der
»Uncharted-Serie auf. Letztlich war natürlich Lara Croft zuerst da, aber der Einfluss des charismatischen Haudegens Nathan Drake auf die "Held sucht nach Artefakten und Antworten"-Sparte der Videospiele lässt sich nicht von der Hand weisen: Lag früher das Augenmerk von
Tomb Raider auf Blockschieberätseln und dergleichen mit ab und an Schusswechseln, wird im Spiel von 2013 in erster Linie auf Action in Form von Schussgefechten und halsbrecherischen Einlagen gesetzt. Lara geht sogar in Deckung wie Drake, auch wenn sich das Handling hierbei unterscheidet. Die Bewegungen von Miss Croft im Kampf sind diesmal auch in der Realität angesiedelt, weshalb ihr also keine Backflips erwarten solltet. Im Punkto Humor findet jedoch keine Annäherung an
Uncharted statt, da der neueste Teil wie schon
Underworld davor einen sehr ernsthaften Ton anschlägt. Was hier jedoch manchmal etwas den Spielfluss stört sind Qick Time Events, die es auch schon in vorigen
Tomb Raider Games gab. Zwar beschrenken sie sich hier auf einen einzigen Knopfdruck pro Sequenz, reißen euch aber aus dem Geschehen und lassen euch bei Misslingen immer wieder dieselben Sequenzen ansehen.
Wie jedes gute Action Adventure kommt auch
Tomb Raider mit einem Levelsystem daher, das euch Erfahrungspunkte sammeln lässt (unter anderem durch das Zerstören von überall verstreuten Holzkisten). An Lagerfeuern könnt ihr dann eure Skills und Tragfähigkeiten ausbauen. Auch im Multiplayer soll das Aufleveln euch bei der Stange halten. Wie, ein Mehrspielermodus in einem
Tomb Raider? Richtig. Schon wie bei einem
»Assassin's Creed: Brotherhood wird sich hier sicher mancher fragen, ob das denn eine Bereicherung für das auf Singleplayer ausgelegte Gameplay ist? Erwies sich der Online-Kampf in letztgenannter Serie als überraschend brauchbar, enttäuscht hier
Tomb Raider leider. Das Szenario, welches euch in eine von zwei Gruppen steckt, Schiffsbrüchige oder Siedler, ist zwar nett, aber die Ausführung etwas holprig. Sowohl eure Spielfigur als auch die Gegner rennen äußerst merkwürdig und abgehackt durch die Gegend und besonders herausragend ist eigentlich nichts an den Deathmatches, bei denen die Gestrandeten Funkmasten aufbauen und die Siedler die Batterien besiegter Gegner einsammeln müssen. Besonders enttäuschend ist hier die Meldung, dass gerade der Multiplayer mit DLC gefüttert werden soll, die ausbaufähige Singleplayer-Kampagne jedoch nicht.
Ausgezeichnet mit den folgenden GameRadio-Awards:

