Virtuelle Realität ist kein Widerspruch in sich selbst, sondern beschreibt am treffendsten unsere Wahrnehmung in Videospielen. So bemessen wir meist unbewusst ein Sportspiel in Bezug auf die mediale Präsentation. Wir empfinden also ein "FIFA" oder ein "PES" als besonders realitätsgetreu, wenn die virtuelle Partie Spanien gegen Deutschland der Fernsehübertragung des EM-Finales 2008 am nächsten kommt. Dabei versuchte lediglich das für die selige PS1 erschienene "Libero Grande", neben den jüngst hinzugefügten Spiel-Modi „Become a Legend“ und „Be a Pro“ der beiden genannten Fußball-Serien, den Rasen-Alltag einigermaßen „realistisch“ abzubilden, indem ihr nur einen Spieler und nicht gleich das ganze Team steuert.
Realer als die Wirklichkeit
Vor ganz neue philosophische Fragen stellt uns die „WWE SmackDown! vs. RAW"-Reihe, die realer als die Wirklichkeit ist. Wie das? Während im Fernsehen muskelbepackte Hünen sich jedes Mal auf's Neue das Kreuz brechen, das Genick ausrenken oder einfach nur die Knochen malträterien lassen, geschieht dies aus gesundheitlichen Gründen nur angedeutet für den Zuschauer. Denn ansonsten bliebe dem in die Jahre gekommenen Superstar Hulk Hogan auf seine alten Tage nicht die Luft für eine Reality-Serie auf MTV, sondern er müsste sein Dasein auf der Intensivstation fristen. Bei den virtuellen Athleten gibt es hingegen keine Rücksicht auf Verluste, denn der Faustschlag ins Gesicht wird hier nicht vorher abgebremst, sondern mit aller Wucht im Ziel versenkt. Die Knochenbrüche der Sportler werden einfach bei der nächsten Ladepause weggezaubert.
Ungeachtet der schmerzlichen Aussichten haben wir uns für euch in den Ring gewagt, um in Erfahrung zu erbringen, ob die diesjährige Neuauflage des amerikanischen Sports Entertainment Wrestling wieder ihr Geld wert ist.
Titelverteidigung trotz starkem Herausforderer
Obwohl der Markt der Prügelspiele mit alteingesessenen Platzhirschen wie "Dead or Alive", "Tekken" oder "Virtua Fighter" im wahrsten Sinne des Wortes hart umkämpft ist, bleibt genug Raum für die Versoftung des eher zuschauerbezogenen Wrestling-Sports. Aber wohl nicht genügend Platz, dass „
»TNA Impact!“ etwas von THQs "WWE SmackDown! vs. RAW"-Kuchen abbekommen hätte, was aber eher auf die mangelnde Qualität des Titels zurückzuführen war.
Doch was bringt hohes spielerisches Niveau einer Serie, wenn man sich über Jahre hinweg auf seinen Lorbeeren ausruht und durch leichte Updates, die man als Neuauflage tarnt, die Gunst der Käufer verliert? Das ist der Nachteil, wenn ein Game sein Genre dermaßen dominiert wie es "WWE SmackDown! vs. RAW" im Moment tut. Unter Innovation verstehe ich dabei nicht, dass im Zuge des High Definition-Wahns die Figuren mittlerweile gestochen scharf über den flachen Fernseher huschen, sondern echte Neuerungen, die den Spieler wieder begeistert hinters Joypad fesseln. Ein Grund mehr, den Entwicklern von Yuke’s Media Creation auf die Finger zu (sc)hauen.
Erwartete Verbesserungen
Die Hausaufgaben haben die Jungs von Yuke schon mal erledigt. Manchmal agieren die Computergegner immer noch getreu dem Motto, das Steroide dumm machen, aber das machen sie wenigstens wesentlich seltener als im Vergleich zum Vorjahr. Das macht sich auch schon erfreulich bei den Tag Team Kämpfen bemerkbar, wo ihr jetzt auch den Schiedsrichter ablenken könnt, um gleich die neuen gemeinschaftlichen Finishing Moves auszuprobieren.
Auch das Fehlen eines Story-Modus wurde von der ToDo-Liste gestrichen. In "Road to Wrestlemania" kämpft ihr euch nun entgegen aller Intrigen und Machenschaften zum Weltmeistertitel. Dabei lockern kleine Mini-Games die Geschehnisse rund um die Wrestling Soap Opera gekonnt auf. Mit rund 10 Stunden gekonnter Bildschirm-Unterhaltung, die in Qualität und Form der TV-Übertragung in nichts nachsteht, könnt ihr hier wenig falsch machen. Dabei kann ein Freund sogar per Koop-Modus mit Hand anlegen, der bei dessen Fehlen einfach von der CPU übernommen wird. Ein Wehrmutstropfen ist, dass die Charakterauswahl hier begrenzt ist, dafür überzeugen die auf den jeweiligen Protagonisten zugeschnittenen Geschichten.
Zu den bereits existierenden Unmengen an Match-Varianten, die ihr mit den nun 53 weiblichen und männlichen Kämpfern sowie den elf freischaltbaren Charakteren bestreiten könnt, wie dem Kampf im Backstage-Bereich oder der Umkleide-Kabine, gesellt sich nun das "Inferno Match". Hier muss der Kontrahent einfach über das oberste Seil ins Aus befördert. Titelgebend ist beim "Inferno Match" dabei die in Flammen stehende Ringbegrenzung, die ihr vorher mit gekonnten Aktionen auf 300 Grad erhitzt habt. Bei aller Freude darüber fällt leider auch auf, dass der "General-Manager-", der "Burried Alive-" und der "Hall-of-Fame-Modus" klammheimlich aus dem Spiel entfernt wurden.
In Sachen Gameplay wirft man den Gegner in altbewährter Weise immer noch präzise mit beiden Analog-Sticks und den Buttons durch den Ring, setzt Tritte, Schläge und Würfe an. Zusammen mit den für jeden Kämpfer typischen Signature-Moves und der großen Bandbreite an Charakteren ergibt sich so schnell eine hohe Spieltiefe. Wem das nicht reicht, der erstellt mittels des mächtigen Editors seinen individuellen Charakter, der nun auch seinen eigenen Finishing Move auswählen kann.
Abzüge bei der B-Note
Bei der grafischen Präsentation kann der Titelverteidiger nicht immer glänzen. Die Kantenbildung und die Clipping-Fehler sind der PlayStation 3 leider nicht würdig und zeigen schnell das Alter der Spiel-Engine auf. Dafür wurden die Bewegungsabläufe noch etwas flüssiger animiert und die Kämpfer etwas detaillierter dargestellt. Auch die Arenen wissen samt der Einlauf-Show der Ringer mehr als zu überzeugen. Nur die englischen Kommentatoren nerven nach längerer Spieldauer etwas. Alles in allem ergibt sich ein besonders atmosphärisches und grafisch hübsches Bildschirmtreiben, das leider wegen der angesprochenen Kritikpunkte gelegentlich an der Grenze einer echten Fernsehübertragung vorbeischrammt.
Ausgezeichnet mit den folgenden GameRadio-Awards:

