Mit »Mass Effect brachte BioWare ein Spiel auf den Markt, dass die Fangemeinde spaltete. Die einen waren fasziniert von dem tollen Charakterdesign, der packenden Geschichte, dem fantastisch ausgearbeiteten Szenario und den sehr guten Dialogen, die anderen klagten über anspruchslose Kämpfe und das magere Charaktersystem. Zudem waren die Nebenquests das komplette Gegenteil der qualitativ hochwertigen Hauptmissionen - nämlich einfach nur generisch langweilig. Deshalb ergatterte das Spiel im PC-Test auch "nur" ein "Sehr Gut" mit einer Prozentwertung von 84. Nun ist Mass Effect 2 erschienen. Die Frage die sich nun stellt: Trennt der Titel die Fangemeinde noch weiter voneinander, oder können auch Fans eines Baldurs Gate oder Dragon Age ihren Spaß haben? Dem wollen wir in diesem Test auf den Grund gehen.
Rette die Galaxis - Mal wieder
Die Handlung von
Mass Effect 2 setzt kurz nach den Geschehnissen des Vorgängers an. Commander Shepherd ist zusammen mit seiner Crew und seinem Raumschiff, der Normandy, im All unterwegs, als dieses plötzlich angegriffen wird. Shepherd wird dabei aus dem Schiff "hinauskatapultiert" und gilt von da an als tot.
Doch was wäre ein Spiel ohne seinen Protagonisten? Natürlich ist der Commander nicht gestorben, sondern wurde von der Geheimorganisation Cerberus, die bereits im ersten Teil der Reihe am Rande erwähnt wird, "aufgefischt" und einer kybernetischen Generalüberholung unterzogen. So kommt es, dass ihr zwei Jahre später in der Rolle von Shepherd aus eurem langen Schlaf erwacht und direkt in ein neues Abenteuer hineingezogen werdet. Eine neue, finstere Macht bedroht nämlich die Galaxis: Die sogenannten Kollektoren, welche ganze Menschenkolonien entführen. Vom Anführer der Cerberus, dem "Unbekannten", erhaltet ihr nun die Aufgabe, ein schlagkräftiges, aus zehn Mann bestehendes Elite-Team aufzustellen, um dem Bösen Einhalt gebieten zu können und somit erneut die Welt zu retten. Viel mehr wollen wir euch auch gar nicht von der Geschichte erzählen, denn wir wollen ja niemanden etwas spoilern. Allerdings können wir sagen, dass man durchaus den ersten Teil gespielt haben sollte, um auch wirklich alle Story-Zusammenhänge und Hinweise auf Charaktere verstehen zu können. Zwingend notwendig, um überhaupt einen Durchblick in Teil 2 zu haben, ist das aber nicht.
Leider hinkt
Mass Effect 2 seinem Vorgänger in Sachen Geschichte ein wenig hinterher, will heißen: Es fehlen die richtigen Highlights, wie der erste Teil sie hatte. Dennoch ist die Spannung stets enorm hoch, da es viele kleine Wendungen gibt und die Erzählweise auf einem enorm hohen Niveau ist.
Hat man
Mass Effect durchgespielt und ist immer noch im Besitz seines Spielstands, kann man diesen in
Mass Effect 2 importieren und quasi mit seinem alten Shepherd den Nachfolger bestreiten. Dabei wird jedoch nicht nur das Aussehen übernommen, sondern auch die Entscheidungen, die ihr in Teil 1 getroffen habt, sodass ihr immer wieder im Verlauf der Handlung auf diese aufmerksam gemacht werdet. Das ist nochmal ein großes Plus für die auch sonst großartige Atmosphäre, die besonders durch die grandiosen Dialoge erzeugt wird. Diese sind nicht nur fantastisch geschrieben, sondern auch sehr schön in Szene gesetzt. Ständig wechselnde Kamerawinkel und eine sehr gute deutsche Sprachausgabe sorgen dafür, dass die zahlreichen Gespräche unglaublich unterhaltsam wirken. Hier hat Bioware wirklich eine neue Referenz geschaffen. Selbst ein
»Dragon Age: Origins kann da nicht mithalten. Zudem haben die Entwickler ein neues, kleines Feature eingebaut, welches euch die Möglichkeit gibt, in gewissen Situationen eine böse oder gute Aktion auszuführen, in dem ihr die linke oder rechte Maustaste drückt, wenn das jeweilige Symbol eingeblendet wird.
Gut oder böse?
Generell spielt in
Mass Effect 2 auch wieder eure Gesinnung eine Rolle, genau wie im Vorgänger oder fast allen anderen BioWare-Spielen. Fast jede Dialogoption, die ihr wählt, beeinflusst, wie gut oder wie abtrünnig ihr seid. Bewegt ihr euch immer weiter in eine der beiden Richtungen, schaltet ihr zum einen neue Dialogoptionen frei, zum anderen verändert sich euer Charakter auch optisch, ähnlich wie in
»Fable, wenn auch nicht ganz so extrem. So wird zum Beispiel euer Gesicht immer narbiger, je höher euer Abtrünnigen-Wert steigt. Außerdem beeinflusst ihr so natürlich auch den Verlauf von Quests. Die grundlegende Geschichte läuft jedoch linear ab, unterschiedliche Enden gibt es nicht.
"Kein Mako fahren mehr, juhu!"
Ok, das Rumfahren mit dem Mako an sich war in
Mass Effect schon ganz cool, jedoch waren die Planeten, die man auf diese Weise erkundet hat, und die dort spielenden Nebenquests mehr als öde. Im Grunde handelte es sich dabei nur um nötige Pflichtarbeit, um Geld und Erfahrungspunkte zu erhalten. Das ist in Teil 2 nicht mehr der Fall. Den Mako hat BioWare komplett gestrichen, dafür sind jetzt sämtliche Nebenaufgaben sehr schön designt und bieten viel Abwechslung. So begegnet ihr zum Beispiel in der Stadt Omega einem Barkeeper, der Menschen verabscheut und euch in euren Drink ein tödliches Gift untermischt, dessen Einnahme ihr jedoch überlebt - so viel "Spoiler" dürfte ja wohl erlaubt sein. Eure Aufgabe ist es nun natürlich, diesem Treiben ein Ende zu setzen. In einer anderen Quest verfolgt ihr die Spur eines verschollenen Cerberus-Agenten. Dabei entdeckt ihr Aufzeichnungen, die euren Auftraggeber belasten, welche ihr nun also entweder diesem übergeben oder gleich der Allianz zukommen lassen könnt. Oder ihr behaltet sie einfach für euch selbst. Die Wahl liegt bei euch.
Ihr seht also: Die Entscheidungsfreiheit ist auch bei
Mass Effect 2 wieder enorm groß. Die Galaxie, die ihr mit einer neuen, erweiterten Version der Normandy bereist, ist wieder einmal riesig ausgefallen. Es gibt also viel zu entdecken, allerdings kostet das nun Treibstoff, den ihr natürlich käuflich erwerben müsst, was ein wenig seltsam ist, da die neue Normandy eigentlich als "verbessert" gegenüber der alten gilt. Naja, was soll's. Jedenfalls gibt es wieder zahlreiche Sonnensysteme, die ihr bereisen könnt, die Levels auf den Planeten, auf denen ihr landen könnt, sind jedoch nach wie vor sehr schlauchig und bieten nicht viel Auslauf. Ein richtiges Open-World-Spiel ist
Mass Effect 2 also immer noch nicht, aber das hat man von BioWare auch nicht anders erwartet. Trotzdem gibt es, wie bereits erwähnt, viel zu erforschen, sodass ihr auch abseits der Hauptstory viele Spielstunden verbringen könnt.
Scannen, Hacken, Scannen, Hacken
Ein eher zweischneidiges Schwert des Vorgängers waren die Minispiele, die ihr bewältigen musstet, um Tresore oder auch verschlossene Türen zu öffnen. Haben diese anfangs noch für ein wenig Abwechslung gesorgt und begeisterten mit ihrer Kurzweiligkeit, wurden sie mit der Zeit einfach nur noch zum nervigen Pflichtprogramm. Leider ist das in
Mass Effect 2 auch nach wie vor der Fall, nur dass es jetzt nicht nur beim Hacken ein Minispiel gibt, sondern auch bei der Erkundung der zahlreichen, nicht begehbaren Planeten. Auf diese könnt ihr nämlich Sonden schicken, um so Rohstoffe ergattern zu können, die ihr für Upgrades braucht, mehr dazu weiter unten. Dabei scannt ihr per rechter Maustaste die Planetenoberfläche ab. Schlagen eure Sensoren auf der rechten Seite des Bildschirms aus, schickt ihr per Linksklick eine Sonde los und erhaltet somit die begehrten Ressourcen. Das ist beim ersten, vielleicht auch beim zweiten Mal noch ganz witzig, spätestens beim vierten oder fünften Planeten macht es jedoch keinen Spaß mehr. Das hätte man auch anders gestalten können.
Ist das noch ein Rollenspiel?
Kommen wir nun zum wohl größten Streitpunkt von
Mass Effect 2, welcher eingefleischten Rollenspiel-Fans wohl sauer aufstoßen wird. War das Charaktersystem in Teil 1 schon eher seicht und wenig komplex, hat Bioware nun nochmal eine Schippe draufgelegt, bzw. eher nochmals weiter abgebaut. Für jede Klasse im Spiel gibt es nur noch eine Handvoll Talenten, die sich im Grunde bis zum Spielende hin auch alle komplett ausbauen lassen. Das sorgt zwar zum einen dafür, dass man einen Charakter nicht "verskillen" kann, zum anderen lässt es aber auch jegliche taktische Tiefe anderer Rollenspiele vermissen. Bioware hatte schon vor dem Release des Spiels angekündigt, dass man mit
Mass Effect 2 in eine deutlich actionorientiertere Richtung gehen werde. Und das ist den Entwicklern auch vollends gelungen. Schon
Mass Effect war sehr actionreich und hatte in den Kämpfen nicht viel mit Taktik zu tun, trotz der Möglichkeit des Pausierens. Nun geht Bioware nochmal einen Schritt weiter: Den Teamkollegen - immer zwei können Shepherd begleiten - braucht man nun eigentlich kaum noch Anweisungen geben, welche Fähigkeiten sie einsetzen sollen, da es einfach nicht nötig ist.
Die Gefechte spielen sich mittlerweile nämlich komplett wie ein gewöhnlicher Third-Person-Shooter. So ist es nun nochmals um einiges wichtiger, immer schön in Deckung zu gehen, denn einen festen Lebensbalken gibt es nicht mehr. Wie in heutigen Actionspielen üblich, regeneriert sich Shepherd nämlich automatisch, sobald er nicht mehr unter Beschuss steht. Zwar gibt es noch das Medigel aus dem ersten Teil, das dient nun aber nur noch dazu, die anderen Teammitglieder wieder zu beleben. Außerdem haben die Gegner nun auch verschiedene Trefferzonen: Ein Schuss in den Kopf fügt also deutlich mehr Schaden zu, als eine Kugel, die im Bein oder im Arm landet. Das alles macht die Kämpfe nochmal um einiges intensiver, als im Vorgänger, aber wie gesagt: Taktik spielt nun eine nochmal um einiges geringere Rolle, nämlich fast gar keine. Zudem ist die Gegner-KI nicht sonderlich schlau. Sie geht zwar mitunter auch mal in Deckung, teilweise laufen die Feinde aber auch einfach nur blind auf euch zu. Sofern ihr also immer schön in Deckung bleibt und nicht in Rambo-Manier auf die Gegner zustürmt, sind die Kämpfe, zumindest auf den unteren Schwierigkeitsgraden, keine große Herausforderung.
Betrachtet man das arg rudimentäre Charaktersystem und die sehr actionlastigen Kämpfe, muss man sich als Tester, aber auch natürlich als Fan, die Frage stellen, ob
Mass Effect 2 überhaupt noch ein Rollenspiel ist, oder ob es sich hierbei nicht doch um einen Shooter mit leichten Rollenspiel-Elementen handelt. Immerhin: Es gibt zahlreiche Upgrades für eure Waffen - von denen es ünrigens im Spiel nochmal einige mehr gibt als im Vorgänger - oder Panzerungen, die ihr im Spiel mit den gesammelten Rohstoffen erforschen könnt. Das gleicht die geringe Anzahl an Talenten ein wenig, aber bei weitem nicht gänzlich aus, sodass wahre Rollenspiel-Cracks das Spiel wohl eher kritisch beäugen werden. Für Leute, denen ein
Dragon Age jedoch zu komplex ist und die lieber mehr Action haben wollen, dürfte das jedoch eine wahre Offenbahrung sein. Denn wie oft hat man sich nicht schon ein Actionspiel mit so einem detaillierten Charakterdesign, einem toll ausgearbeiteten Setting und einer so guten Geschichte gewünscht.
Immer noch schön
Zum Schluss nochmal ein paar Worte zur Technik: Die deutsche Sprachausgabe ist mal wieder hervorragend gelungen, das hatten wir ja weiter oben schon erwähnt. Das gleiche gilt aber auch wieder für die Musik. Die Mischung aus orchestralen Klängen und Synthesizer macht auch in
Mass Effect 2 eine enorm gute Figur. Auch die Soundeffekte überzeugen auf ganzer Linie.
Was die Grafik betrifft, hat sich auch nicht viel verändert: Weder zum guten, noch zum schlechten. Die Charaktermodelle sehen erneut fantastisch aus und strotzen nur so vor Details. Besonders die nochmals verbesserten Gesichter begeistern auf ganzer Linie, da hier Emotionen wirklich sichtbar werden. Die Levels sehen jedoch teilweise etwas trist aus, andernorts hingegen klappt einem die Kinnlade wieder herunter. Der wohl größte Kritikpunkt dürften aber wohl die Texturen sein, die oftmals nicht gerade durch ihre Bildschärfe glänzen und somit nicht mehr dem aktuellen Stand entsprechen. Dem Gesamteindruck tut das keinen Abbruch,
Mass Effect 2 sieht auch wieder sehr hübsch aus, aber man merkt hier und da eben, dass die Unreal Engine 3 mittlerweile doch etwas betagt ist. Für ein
Mass Effect 3, das auf jeden Fall kommen wird, wünschen wir uns in Sachen Grafik also eine deutlichen Schritt nach vorne. Und wir wünschen uns einen baldigen Patch für
Mass Effect 2, denn mitunter treten leider noch einige Bugs auf. Besonders während der Dialoge kommt es öfters noch zu Animationsfehlern und ab und zu treten auch mal Satzwiederholungen auf. Das alles ist nichts Dramatisches - kein Vergleich mit einem
Gothic 3 -, sollte aber doch per Update bereinigt werden.
Ausgezeichnet mit den folgenden GameRadio-Awards:


