The Walking Dead beweist: Telltale Games kann Horror. The Wolf Among Us beweist: Telltale Games kann auch Krimi. Die wichtigste aller Fragen lautet aber: Kann das Studio auch verrückte Weltraum-Action voller Psychos und derbem Humor? Mit Leichtigkeit!
Betrüger unter sich
Im Gegensatz zum Rollenspiel-Shooter
Borderlands: The Pre-Sequel erzählt das Telltale Adventure keine alten Geschichten aus der (Semi-)Vergangenheit.
Tales from the Borderlands spielt genau nach dem Ende von dem zweiten Teil weiter. Wir wissen also - Achtung Spoiler - dass die Machenschaften des skrupellosen wie schönen Handsome Jack ein Ende gefunden haben. Aber wie geht es weiter auf dem Planeten Pandora? Und was passiert überhaupt mit dem Hyperion-Unternehmen? Natürlich warten die nächsten Blutsauger darauf, sich den noch warmen Sitz von Handsome Jack so schnell wie möglich unter den Nagel zu reißen. Einer dieser Möchtegern-Emporkömmlinge schimpft sich auf den Namen Rhys - und ist unser spielbarer Charakter. Eine herrlich schmierige Figur, nicht verlegen um ein paar Sprüche, die mehr Probleme verursachen statt lösen.
Wir wollen an dieser Stelle nicht zu viel von der Story preisgeben, nur so viel: Für einen wichtigen Deal muss Rhys auf dem Planeten Pandora landen (dem Schauplatz von
Borderlands 2). Mit von der Partie ist ein Vault Key, viel Geld, eine Menge Psychos und Fiona. Fiona wer? Die gerissene Trickbetrügerin dreht mit ihrer Zieh-Familie viele krumme Dinger und ist der zweite spielbare Charakter im Adventure. Wie sich ihr Weg mit dem von Rhys kreuzt gehört zu einer von zahlreichen Überraschungen und Wendungen, die
Tales from the Borderlands für euch bereit hält.
Perspektivenwechsel
Tales from the Borderlands hält einen sehr interessanten erzählerischen Kniff bereit. Die unglücklichen Ereignisse, die Rhys und Fiona zusammengeführt haben, werden über Rückblenden erzählt. Die Geschichtenerzähler sind die Charaktere selbst. Dass dabei auch geflunkert und manches Detail beschönigt wird, gehört natürlich dazu. So ergeben sich einige erheiternde Momente, wenn die zweite Person mit ihrer Geschichte eine völlig neue Sicht auf die Dinge preisgibt. Dabei wechselt das Telltale-Adventure gekonnt zwischen Rhys und Fiona hin und her, bis sich das Gesamtbild zusammengefügt hat. Allein dadurch beweist das Studio erneut, dass es kaum einen anderen guten Geschichtenerzähler im Videospielbereich gibt.
Auch bei der Charakterdarstellung wurde hervorragende Arbeit abgeliefert. Trotz (oder gerade wegen) der vielen Schurken, Verrückten und Betrüger, mit denen das Universum von
Borderlands angefüllt ist, wachsen einem Figuren doch irgendwie ans Herz. Das beweist schon der kurze Auftritt eines Loader Bots, der mit seiner selbstlosen Leistung bei uns einen Heldenstatus erreicht. Auf der anderen Seite steht der fiese Hyperion-Chef Vasquez, den man liebend gerne verachtet.
Typisch Telltale
Spielerisch orientiert sich
Tales from the Borderlands an der bekannten Telltale-Formel. Das bedeutet, dass die Geschichte weitestgehend über Dialoge und Quick-Time-Events vorangetrieben wird. Wer ein ernsthaftes Adventure mit Rätseln erwartet, wird auch bei diesem Telltale-Spiel von dem linearen Ablauf nicht begeistert sein. Es gibt nur kleinere Features, die das Gameplay um ein paar Neuerungen erweitern. Dazu gehört das cybernetische Auge von Rhys, mit dem man in den Freilaufabschnitten die Umgebung scannen kann. Dank der humorige Einblendungen in den Beschreibungen lohnt sich der regelmäßige Einsatz dieser Mechanik. Die Gameplayinhalte bewegen sich trotzdem weiterhin im Schatten der Geschichte. Aber wer andere Telltale-Spiele kennt, den kann das auch nicht überraschen. Genauso wenig, dass die Handlung von den eigenen Entscheidungen geformt und verändert werden kann. Wie groß der Einfluss darauf ist, kann sich jedoch erst in den nächsten Episoden abzeichnen.
Typisch Borderlands
Die erste Episode
Zer0 Sum von
Tales from the Borderlands ist also ein gutes Telltale-Spiel geworden. Fast genauso wichtig dürfte aber die Frage sein, ob dabei auch ein gutes
Borderlands-Spiel herausgekommen ist. Schließlich gilt es, die Fans des Gearbox-Shooters zu überzeugen, die noch nie Hand an ein Telltale-Adventure gelegt haben. An dieser Stelle können sämtliche Zweifel zerstreut werden: Die Atmosphäre der Vorlage wird perfekt eingefangen.
Was macht Borderlands überhaupt aus? Na gut, dass das süchtigmachende Loot-System mit den Quadrillionen Waffen nicht in einem Adventure umgesetzt werden kann, sollte jedem klar sein. Dicht gefolgt dürfte den meisten Fans der abgedrehte Humor in den Sinn kommen. Und der wird voll bedient. Eine urkomische Situation jagt die nächste. Es ist einfach witzig zu sehen, wie Rhys als unbeholfener "Tourist" in der gefährlichsten Ecke von Pandora nach dem Weg fragen muss. Während wir in Titeln wie
The Walking Dead am liebsten keine Entscheidung treffen wollen, weil wir uns vor den schrecklichen Konsequenzen fürchten, stehen wir bei
Tales from the Borderlands vor der Qual der Wahl, weil alle Antwortmöglichkeiten einen Mordsspaß versprechen. Zu keiner Sekunde nimmt sich das Spiel dabei ernst. Das ist auch an den actionreiche Abschnitten zu merken, die herrlich "over the top" geraten sind.
Auch abseits vom Humor konnte Telltale Games das Universum von
Borderlands bis ins letzte Detail nachbauen. Das Gegner-, Monster- und Waffendesign steht dem Original in Nichts nach. Hinzu kommen besondere Eigenheiten wie die Introkarten, sobald ein neuer Charakter vorgestellt wird (siehe Bildergalerie). Der makabere Ton wurde genau getroffen, denn mit Blutfontänen und brutalen Toden wird nicht gespart. Wenn dann noch in den Action-Sequenzen Dubstep aus den Boxen tönt, besteht kein Zweifel mehr daran, in der Welt von
Borderlands gelandet zu sein. Als Fan wird man mit zahlreichen Anspielungen belohnt, die quer in der ganzen Episode verteilt sind. Also schön die Augen offen halten. Die Gastauftritte von bekannten Gesichtern tun ihr übriges. Telltale hat also seine Hausaufgaben gemacht - die Grundstimmung der Vorlage einzufangen gehörte schon immer zu den Stärken des Studios. Das ist uns direkt mal einen Atmosphäre-Award wert.
Technisch bewegt sich das Adventure auch auf gutem Niveau (Anmerkung: Es wurde die Xbox One-Version gespielt). Es wird erneut auf einen Cel-Shading-Look gesetzt, was angesichts der Comic-Vorlage natürlich anders auch keinen Sinn gemacht hätte. Ärgerlich und mittlerweile unnötig sind Ruckler, die an Speicherpunkten auftreten.
Tales from the Borderlands enthält leider nur eine englische Sprach- und Textausgabe. Es wird insgesamt fünf Episoden geben. Die erste Folge
Zer0 Sum hat für ungefähr 5€ knapp zwei Stunden unterhalten können.
Ausgezeichnet mit den folgenden GameRadio-Awards:
