Für rollenspielbegeisterte Videospieler war Brian Fargo in den späten 80er Jahren eine echte Ikone. Er gründete nicht nur das Unternehmen Interplay Entertainment, sondern war als Entwickler und Designer für die legendäre Trilogie The Bard's Tale verantwortlich. Ganz nebenbei führte er die Rollenspieler in das Endzeit-Setting von Wasteland, das im Jahre 1988 erschien. Genau diese steinalte Marke möchte Brian Fargo jetzt wiederbeleben. 25 Jahre nach dem Original kommt bald der zweite Teil in den Handel.
Ohne Kickstarter wäre ein Projekt wie
Wasteland 2 wohl kaum möglich gewesen. Denn außer ein paar C64-Veteranen erinnert sich ohnehin keiner mehr an den ersten Teil. Dennoch, über Kickstarter gingen knapp 3 Millionen US-Dollar für den Titel ein. Dank der finanzkräftigen Unterstützung der Spielerschaft kann das Rollenspiel im nächsten Jahr von der Leine gehen.
Es weht ein Hauch von Nostalgie
Brian Fargos neuer Streich hat seine Wurzeln in den 80er Jahren, darauf macht das Spiel auch keinen Hehl. Denn viele wesentliche Elemente von
Wasteland 2 sind ziemlich klassisch geraten. Auf actiongeladene Kämpfe, wie sie in vielen Rollenspielen heutzutage auftauchen, hat Entwickler inExile Abstand genommen. Stattdessen bewegen wir uns auf einer taktischen Karte. Zur Verdeutlichung lässt sich sogar ein schachbrettartiges Muster auf dem Bildschirm einblenden.
Für den Kampfablauf habt ihr alle Zeit der Welt. Jede am Kampf beteiligte Figur führt brav nacheinander seinen Zug durch. So könnt ihr in aller Ruhe bis ins kleinste Detail eure Taktik für das Gefecht ausbaldowern. Das ist auch zwingend nötig, denn oftmals habt ihr es mit einer Übermacht an Gegnern zu schaffen. Wer einfach blind in die Menge stürmt und Schläge verteilt, wird schneller in den Wüstensand beißen als ihm lieb ist. Trotzdem, im Vergleich zum bockschweren Vorgänger ist
Wasteland 2 fast ein Kinderspiel.
Sieben glorreiche Halunken
Wie es in den 80er und frühen 90er Jahren meist üblich war, steuert ihr keinen einzelnen Charakter, sondern eine Gruppe aus mehreren Helden. Die Party umfasst insgesamt bis zu sieben Personen, wovon ihr zunächst vier am Anfang erstellen könnt. Eilige Naturen wählen einfach vier vorgefertigte Partymitglieder. Natürlich könnt ihr alle Figuren auch bis ins kleinste Detail nach euren eigenen Vorstellungen zusammenbauen. Plant dafür aber auf jeden Fall ein wenig Zeit ein.
Die Charaktergenerierung erinnert ein wenig an ein Pen-and-Paper-Rollenspiel. Mit drei Attributen und einem Wert für Schaden und Rüstung ist es längst nicht getan. Insgesamt gibt es sechs unterschiedliche Attribute, die wiederum Einfluss haben auf 35 Fertigkeiten. Bei dieser Anzahl ist es schlicht unmöglich alle Bereiche mit einer guten Punktzahl abzudecken. Mut zur Lücke ist also angesagt. Im aktuellen Zustand von
Wasteland 2 wird ein großer Teil der Fertigkeiten aber noch kaum genutzt. Dieser Mangel ist Brian Fargo und seinen Team-Mitgliedern von inXile allerdings bekannt. Bis die fertige Version des Rollenspiels erscheint, möchte man den Fertigkeiten noch eine größere Bedeutung zukommen lassen, als die im Moment der Fall ist.
So sind die Kämpfe zum gegenwärtigen Zeitpunkt auch noch das Highlight des Spiels, neben der gelungenen Atmosphäre. Immerhin gibt es im Spielverlauf häufig mehrere Wege, die zum Ziel führen. Man muss nicht zwingend jeden Gegner über den Haufen knallen, sondern kann sich durchaus auch mal mit seinen sozialen Fähigkeiten retten, sofern man diese gesteigert hat. Es wäre schön, wenn sich
Wasteland 2 noch ein wenig mehr in diese Richtung entwickeln würde.
Der Weg zur finalen Fassung
Angetestet werden konnte nämlich nur die Beta-Version von
Wasteland 2. Diese lässt natürlich noch keinen endgültigen Schluss über die finalen Qualitäten des Spiels zu. Die Ansätze, die in der Beta zu erkennen sind, waren jedoch vielversprechend. Allein die Vielzahl an unterschiedlichen Fertigkeiten und Charakteren verspricht ein abwechslungsreiches Rollenspiel mit Tiefgang. Rollenspiel-Neulinge werden sich zu Beginn möglicherweise sogar erschlagen fühlen. Welche Fertigkeiten brauche ich überhaupt? Wie wirken sich die Attribute auf den Charakter aus? Welche Waffen sind für meine Spielfigur wirkungsvoll? Wie stelle ich am besten meine Party zusammen? Gleich zu Beginn ist Experimentierfreudigkeit angesagt.
Gleiches gilt für den Kampf. Das rundenweise Ziehen von bis zu sieben Charakteren braucht schon seine Zeit. Zudem will jeder Zug, wie bei einem Schachspiel, gut überlegt sein. Die Umgebung kann in den taktischen Kampf dabei gut eingebunden werden. Elemente wie Fässer oder Felsbrocken lassen sich hervorragend als Deckung verwenden.
Wasteland 2 verspricht viele taktische Möglichkeiten und erinnert dabei ein wenig an die AD&D-Goldbox-Spiele von SSI oder die Nordland-Trilogie von
Das Schwarze Auge.
Modernes Rollenspiel mit Retro-Flair
Doch nicht nur der Kampf erinnert an Rollenspiel längst vergangener Tage. So wirkt das Inventar noch ziemlich fummelig. Jeder Charakter verfügt über einen eigenen Beutesack, der auch nicht besonders viel Platz hergibt. Das macht das Tauschen von Gegenständen mitunter zu einer ziemlich zeitintensiven Angelegenheit. Nervig ist es vor allem, wenn man praktisch dauernd die Grenzen des eigenen Inventars sprengt. So verbringt man gerne schon einmal mehrere Minuten mit dem Zuteilen von Gegenständen.
Ein wenig old-school wirken auch die Textboxen im Spiel, obwohl es in
Wasteland 2 auch eine Sprachausgabe gibt. Bislang ist das Spiel komplett in englischer Sprache, eine deutsche Übersetzung ist jedoch vorgesehen. Wer nicht über gute Englisch-Kenntnisse verfügt, sollte auf jeden Fall bis zur deutschen Lokalisation abwarten und sich den Early-Access auf Steam sparen. Der frühe Zugang kostet über Steam rund 45€. Dafür bekommt ihr zusätzlich noch das Original aus dem Jahre 1988, zwei digitale Romane, einen Soundtrack und ein digitales Artbook.